Antragsteller*in: | Robert Habeck (KV Flensburg) |
---|
LL 2 RH: Robert Habeck
Selbstvorstellung
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
ich erinnere mich noch sehr genau an einen Parteitag 2005 in Neumünster. Es war ein heißer Tag nach einem unglaublich kalten Wahlkampf, wir waren noch in der rot-grünen Bundesregierung, aber in Schleswig-Holstein waren wir – nachdem die Wahl von Heide Simonis als Ministerpräsidentin einer Minderheitsregierung mehrfach keine Mehrheit im Landtag gefunden hat – aus der Regierung geflogen. Die Stimmung im Landesverband war moll. Wir hatten Mitglieder verloren und Zustimmung. In Kiel wurde eine Große Koalition gebildet.
In dieser Situation beschloss der Landesverband Schleswig-Holstein einen Kurs der Eigenständigkeit. Ich glaube sogar, dass der Begriff damals erstmals verwendet wurde. Mit dem Begriff verband sich nicht nur eine neue strategische Kraft, nämlich nicht mehr von anderen in Bündnisse eingepreist zu werden, sondern selbst und unabhängig darüber zu entscheiden, mit wem in welcher Konstellation am meisten grüne Politik möglich ist, sondern auch ein erweiterter Verantwortungsanspruch an uns selbst. Das war uns damals vielleicht gar nicht klar, aber rückblickend erscheint mir dieser Moment als der, in dem wir Grünen beschlossen, sich nicht mehr nur als Vertreterin bestimmter Milieus, von bestimmten Themen zu sein, die die anderen nicht sehen wollten, sondern einen Anspruch zu entwickeln, für die Breite der Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen. Es gibt Wegmarken auf der weiteren Strecke – ich erinnere mich, mit welcher Mischung aus Stolz und Leidenschaft, im Parlament unsere Anliegen zu vertreten, wir 2009 in den Landtag einzogen, wie wir unseren Teil leisteten, die verfeindeten Lager zu einem Gespräch einzuladen, an die Debatten im Plenum und die after-work-Treffen danach, an stürmische Debatten über den Begriff Heimat auf einer Fraktionsklausur in Leck 2009, die Verfassungsklage gegen das Wahlergebnis von 2009 und die Neuwahl 2012 mit der Regierungsverantwortung, dass wir mit dem Finanzministerium und Monika als Ministerin ins Zentrum des Regierungshandelns vorstießen und ich bis 2018 das Privileg hatte und Jan es heute hat, mit dem MELUND das Schleswig-Holstein-Ministerium zu führen, die Entscheidung 2017 eine Jamaika-Koalition zu verhandeln und sich nicht, wie sonst immer Praxis, von der SPD, die wie selbstverständlich mit der Union koaliert, in die Opposition drängen zu lassen, Euer Votum für meine Spitzenkandidatur auf Bundesebene 2017 – all das, der lange Weg, den wir zusammen gegangen sind, hat mich jetzt hierher geführt. Und ich bewerbe mich um den Listenplatz 2, um gemeinsam mit Euch und aus dem Landesverband heraus das nächste Kapitel zu schreiben.
Meine Bewerbung um ein parlamentarisches Mandat im Bundestag ist, nach den amtslosen Jahren als Parteivorsitzender und den mandatslosen Jahren als Minister auch eine Bewerbung um den Dienst an der Demokratie. Das Parlament als ihr Spiegel ist das Herz einer offenen Gesellschaft. Und es ist ein angegriffenes. Es zu achten und zu schützen, zu stärken und laut schlagen zu lassen, das wäre mir eine Ehre. Als Listenplatz 2 bin und will ich Vertreter der Gesamtinteressen unserer Partei und unseres Landes sein, denn immer sind in den letzten Jahren die Positionen unserer Partei im Land mehrheitsfähig geworden. Ich bringe dafür die Fachlichkeit und Kompetenz aus den Regierungsjahren mit, die mir ein profundes Wissen in allen ökologischen Themen – vom Windkraftausbau und Netzausbau, dem Artenschutz und der Landwirtschaft, dem Meeresschutz und Küstenschutz und Rückbau der Atomkraftwerke, dem ländlichen Raum und der Digitalisierung – gaben und als Bundesvorsitzender den Überblick über all die Themen, in denen die Partei in den letzten Jahren weiter politisch gearbeitet hat – Finanzen und Innen und Gesundheit und Flüchtlinge und Wissenschaft – mit. Sie möchte ich jetzt im Bundestag stark machen. Sichtbar machen. Hörbar machen. Mehrheitsfähig machen – indem wir im Bundestag Mehrheiten schaffen.
Viel zu lange regieren wir schon nicht auf der Bundesebene. Anderthalb Jahrzehnte wurde immer erst dann agiert, wenn die Krise so groß war, dass man sie nicht mehr ignorieren konnte – so die mangelnde Regulierung des Bankensektors vor der Finanzkrise 2008 und der fehlende Green New Deal vor der Krise des Euros 2012, das Klammern an das Dublin-System, das dann 2015 kollabierte. Und bei der großen globalen Krise unserer Zeit, der der Erderhitzung, läuft uns die Zeit davon. Nicht ganz richtig wird angesichts der Erderhitzung von einer Klimakrise gesprochen. Das Klima ist letztlich, was es ist. Aber eine Welt der Waldbrände und Wüstenbildung, der Kämpfe um Wasser und Nahrungsmittel wird zu einer Menschheitskrise führen. Bei all den Einzelthemen und Auseinandersetzungen, die wir zu führen haben, es geht darum, ein politisches Verständnis durchsetzen, das vorausschauend agiert und Krisen nach Möglichkeit eben gar nicht entstehen lässt.
Durch Corona ist jedoch klargeworden, dass Nachhaltigkeit nicht Nachträglichkeit bedeutet, die die negativen Folgen unserer Wirtschaftsweise zu reparieren versucht, sondern eine Art „Vorhaltigkeit“ ist, die die ökologischen, sozialen und gesellschaftlichen Folgekosten gar nicht erst entstehen lässt, sondern verhindert.
Wir haben uns angewöhnt, Nachhaltigkeit mit einer Zeitdimension in die Zukunft zu versehen. Sie wird mit „enkeltauglich“ gleichgesetzt. Damit, dass man keinen Raubbau an der Natur vornehmen darf, der zukünftiges Wirtschaften verhindert. Aber Nachhaltigkeit hat auch schon eine Bedeutung für die Gegenwart. Dies muss auch die Art der Politik, selbst verändern: Kooperation statt Konkurrenz, Einvernehmen statt Eitelkeit, Probleme lösen, statt sie auszusitzen, Veränderung als Bedingung für neuen Halt. Dafür bin ich 2018 nach Berlin gegangen. Jetzt führt mich dieser Weg zurück – zu Euch, zu uns. Drei Wahlkämpfe habe ich in verschiedenen Konstellationen für Euch auf Landesebene mit anführen dürfen. Jetzt bewerbe ich mich darum, das Gleiche für die Bundestagswahl tun zu dürfen. Dass Konstantin mir ungefragt angetragen hat, dass ich auf Listenplatz 2 kandidiere, seinem Listenplatz, spricht für ihn und seinen Teamgeist. Und es zeigt, welcher Geist diesen Landesverband prägt.
Wir stehen vor einer Bundestagswahl, wie sie Deutschland nach dem Ende des zweiten Weltkriegs noch nicht hatte. Erstmals tritt keine amtierende Bundeskanzler*in an. Das verändert die ganze Auseinandersetzung. „Keine Experimente“ und „sie kennen mich“, also die Sprüche der Status-Quo Bewahrung sind sinnlos für die Regierung, weil der Status-Quo vergangen ist. Umgekehrt kann die Opposition sich nicht auf „xyz muss weg“-Rhetorik zurückziehen. Alle müssen aus sich heraus, aus eigener Kraft und eigener Überzeugung überzeugen. Das ist für uns als Partei eine Chance. Ja, fast scheint es, als hätten wir uns auf diese Situation seit jenem Parteitag in Neumünster vorbereitet. Wir kämpfen 2021, Deutschland politisch anzuführen. Gemeinsam mit Euch und an der Spitze der Landesliste Schleswig-Holstein will ich diesen Kampf führen und bitte um Euer Vertrauen dafür: Geschlossen aus SH heraus die Führung im Bund. Und dafür bitte ich um Eure Unterstützung.
- Alter:
- 51
- Geschlecht:
- männlich