Antragsteller*in: | Malte Krüger (KV Steinburg), Konstantin von Notz (KV Herzogtum-Lauenburg), Jörn Pohl (KV Kiel), Marlene Langholz (KV Flensburg), Rebecca Such (KV Kiel), Benita von Brackel-Schmidt (KV Flensburg), Mayra Vriesema (KV Nordfriesland), Grüne Jugend Schleswig-Holstein (Beschluss LMV vom 20.09.20), Denise Loop (KV Dithmarschen), Kreisvorstand Flensburg (Beschluss 24.09.2020), GJ Flensburg (Beschluss 25.09.2020), Luise Amtsberg (KV Kiel), Steffen Regis (KV Kiel), Jasper Balke (KV Lübeck), Smilla Mester (GJ Segeberg), Leon Bossen (KV Flensburg), Alice Hakimy (KV Neumünster), Joschka Touré (KV Kiel), Annabell Pescher (KV Flensburg), Nina Schneider (KV Kiel), Sven Gebhard (KV Flensburg), Juli Schmidtke (KV Kiel), Lennart Stahl (GJ Segeberg), Anne Bachmann (GJ Kiel), Lasse Petersdotter (KV Kiel), Kerstin Mock-Hofeditz (KV Nordfriesland), Nele Johannsen (KV Ostholstein), Rasmus Andresen (KV Flensburg), Martin Drees (KV Plön) |
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C 1: Verschwörungserzählungen keine Plattform bieten!
Antragstext
Verschwörungserzählungen keine Plattform bieten!
In den letzten Monaten haben sich verschiedene Gruppierungen formiert, die auf
unterschiedlichsten Wegen Kritik an den Maßnahmen zur Eingrenzung des Corona-
Virus äußern. Der Protest organisiert sich häufig über Chatgruppen. Dort wird
immer wieder auch zu Demonstrationen aufgerufen. Selbstverständlich ist
demokratischer Protest – auch und gerade gegen die durchaus weitreichenden
Freiheitseinschränkungen im Zuge von Corona-Maßnahmen - legitim. Aber es ist zu
beobachten, dass viele dieser Demonstrationen von Rechtspopulist*innen,
Rechtsextremen, Reichsbürger*innen, Rassist*innen und Antisemit*innen
unterlaufen und dafür missbraucht werden, die freiheitlich-demokratische
Grundordnung in Frage zu stellen, Rechtsstaat und Demokratie verächtlich zu
machen, offen zu Gewalt aufzurufen und krudeste Verschwörungserzählungen zu
verbreiten. Als Demokrat*innen distanzieren wir uns von den auf diesen
Demonstrationen vorgebrachten Thesen und erinnern daran, dass jede*r Demokrat*in
gut beraten ist, genau zu prüfen, an wessen Seite er*sie demonstriert.
Die Gefahr der Pandemie ernst nehmen!
Parawissenschaftliche Erklärungsansätze gefährden die Gesundheit vieler Menschen
in Zeiten einer Pandemie, insbesondere die von vulnerablen Gruppen. SARS-CoV-2
kann zu schwerwiegenden Krankheitsverläufen mit multiplen Organschäden und
Todesfolge führen und ist in einem symptomfreien Stadium der Erkrankung nach
heutigem Wissensstand besonders stark ansteckend. Dabei verbreitet sich das
Virus ohne Gegenmaßnahmen rasant und sorgt schnell für eine Überlastung des
Gesundheitssystems. Die Langzeitauswirkungen aus einer Ansteckung mit dem Virus
sind noch nicht alle bekannt. Fest steht jedoch, dass es bei einigen Menschen
auch langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit geben wird. Auch wenn in den
letzten Monaten sehr viele Studien veröffentlicht worden sind, ist der Zeitraum,
in dem Daten gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden konnten,
vergleichsweise kurz. Bekannt ist, dass ältere Menschen und Menschen mit
chronischen Vorerkrankungen überdurchschnittlich stark von schweren
Krankheitsverläufen betroffen sind. Besonders ihnen gilt unsere Solidarität.
Für uns gilt, dass die grundlegenden Maßnahmen (sogenannte AHA-Regel) zur
Bekämpfung der Covid-19 Pandemie wichtig und derzeit unersetzlich sind, was
natürlich nicht heißt, dass sie nicht regelmäßig auf ihre Notwendigkeit und
Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden müssen. Das ist eine rechtsstaatliche
Selbstverständlichkeit - für die auch wir uns als Grüne in Land und Bund immer
wieder eingesetzt haben.
Die Demokratie bewährt sich gerade in der Krise. Sie ist ein stets lernendes,
sich selbst korrigierendes System. Regierungen und Parlamente sind in der
Verantwortung, Entscheidungen und Maßnahmen evidenzbasiert zu treffen, sie gut
zu begründen, transparent zu kommunizieren und ihre Umsetzung zu kontrollieren.
Dies gilt insbesondere während einer Pandemie, in welcher die Gesundheit vieler
Menschen gefährdet ist. Daher kommt dem Schutz der Gesundheit während einer
Pandemie eine besondere Rolle zu, da hiermit Grundrechtseingriffe für einen
begrenzten Zeitraum gerechtfertigt werden können. Zwar ist während einer
Pandemie schnelles Handeln zweifellos geboten. Eingriffe in die Grundrechte
müssen sich jedoch auf das unbedingt Notwendige beschränken, für den jeweils
konkret zu benennenden Zweck geeignet, erforderlich und durchweg befristet sein.
Sie sind fortlaufend hinsichtlich dieser Kriterien und neuester
wissenschaftlicher Erkenntnisse zu überprüfen. Sie müssen sich auch in der Krise
am rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen, sich stets
auf das mildeste Mittel beschränken und dürfen nicht willkürlich und
diskriminierend sein.
Wie wir heute wissen, waren nicht alle Maßnahmen zu Beginn der Pandemie 2020
gleichermaßen effektiv; einige waren unnötig drastisch - und wurden daher zu
Recht von Gerichten nach entsprechenden Überprüfungen zurückgenommen. Unserer
Auffassung nach ist der Ansatz der Prävention in einer Pandemie-Situation
richtig. Es gilt zunächst, schnell zu reagieren, um Schlimmeres zu verhindern,
was bei einem geringen Wissensstand über eine Krankheit allerdings dazu führen
kann, das einzelne Maßnahmen sich zu einem späteren Zeitpunkt als unnötig oder
zu weitreichend herausstellen können. Deutschland steht im internationalen
Vergleich der Infektionszahlen bezüglich der Corona Pandemie gut da. Neben
vieler anderer Faktoren hat sehr wahrscheinlich das schnelle und konsequente
Reagieren der Kommunen, Länder und auch der Bundesregierung einen größeren
Schaden abwenden können.
Wir bekunden unsere große Anerkennung und danken den Menschen dafür, wie sie
sich in den vergangenen Wochen und unter teils erheblich erschwerten, mit
Existenzgefährdungen verbundenen, individuellen Lebensbedingungen an die mit der
Eindämmung des Corona-Virus verbundenen Einschränkungen und Auflagen gehalten
und hierbei eine überwältigende gesellschaftliche Solidarität bewiesen haben.
Uns Grünen ist klar, dass durch die Corona Maßnahmen die wirtschaftliche
Situation vieler Menschen unter Druck geraten ist. Existenzen sind bedroht und
die Lebensrealität hat sich verändert. Hier müssen geeignete Konzepte weiter
diskutiert werden, um den Menschen in ihren jeweiligen Lebenslagen konkret zu
helfen. Wir werden auch weiterhin unseren Teil dazu leisten, dass Menschen
schnell und unbürokratisch geholfen wird.
Der Wert der Freiheit wird in der Krise besonders deutlich erfahrbar. Für uns
Grüne bleibt selbstverständlich, dass wir unser Grundgesetz und unsere
Freiheitsrechte verteidigen. Genauso klar ist jedoch, dass wir uns ganz bestimmt
nicht mit Rechtsextremist*innen, Rechtspopulist*innen, Antisemit*innen,
Rassist*innen sowie Verschwörungserzähler*innen gemein machen. Auch unsere
Geschichte lehrt uns: Es darf keine Toleranz gegenüber denjenigen geben, die für
Intoleranz einstehen. Dies ist eine Grüne Selbstverständlichkeit. Für
Rechtsextremist*innen, Rechtspopulist*innen, Antisemit*innen, Rassist*innen
sowie Verschwörungserzähler*innen ist kein Platz in der Grünen Partei.
Pressefreiheit achten!
Während viele der Demonstrationen systematisch unterwandert werden, zeigt sich,
dass zeitgleich Presseberichterstatter*innen immer mehr unter Druck geraten. Sie
werden nicht selten unverhohlen bedroht. Gerade dem öffentlich-rechtlichen
Rundfunk, ein echtes Pfund in Zeiten eines weltweit zunehmenden Populismus, um
den uns zahlreiche andere Länder beneiden, wird die Unabhängigkeit pauschal
abgesprochen. Durch dieses Vorgehen delegitimiert sich die selbsternannte
Freiheitsbewegung selbst. Die Pressefreiheit ist für uns ein hohes Gut. Nur mit
einer freien und kritischen Presse kann ein demokratischer Staat funktionieren.
Wir Grüne stehen daher hinter der Pressefreiheit und fordern, dass diese
geachtet wird. Der Austausch von Meinungen, der kritische Diskurs, eine aktive
Zivilgesellschaft, eine freie und vielfältige Kultur und freie Medien sind
Grundbedingungen einer demokratischen Öffentlichkeit. Auch angesichts der
vielfachen Verbreitung von bewusst lancierten Falschnachrichten im Netz ist der
ÖRR eine Grundsäule für ein faktenbasiertes und qualitativ hochwertiges Angebot.
Parlamente stärken!
Die Krise ist nach der Verfassungsordnung ganz gewiss nicht allein „die Stunde
der Exekutive“. Im Gegenteil: Parlamente sind Repräsentationsort unserer
Demokratie par excellence. Diese Orte zu schützen, muss Auftrag aller
Demokrat*innen sein. Gerade wenn Versammlungen nur unter, wenn überhaupt,
erschwerten Bedingungen stattfinden können, sind die öffentliche Debatte, die
Rede und Gegenrede, die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen
im Parlament ein Grunderfordernis unserer freiheitlichen Verfassungsordnung.
Parlamente dürfen nicht von Rechtsextremist*innen für ihre Propaganda
missbraucht werden. Dagegen muss sich der Rechtsstaat mit allen Mitteln wehren.
Wissenschaft verteidigen!
Wir stehen auf der Seite der Wissenschaft, wenn sie sich gegen Angriffe aus
verschiedenen Richtungen verteidigen muss. Wissenschaftliche Ergebnisse müssen
ernst genommen werden und im politischen Aushandeln von Kompromissen einen hohen
Stellenwert einnehmen. Um zu verhindern, dass Menschen Verschwörungserzählungen
zum Opfer fallen, müssen empirische Methoden und Prozesse sowie
wissenschaftliche Erkenntnisse für die Allgemeinbevölkerung verständlich
aufbereitet werden. Dabei ist völlig klar, dass in der Wissenschaft oft auch
widersprüchliche Aussagen zu neuen Sachverhalten existieren. Während
wissenschaftliche Theorien sich widersprechen oder unterschiedliche Perspektiven
auf eine Fragestellung haben können, versuchen Verschwörungserzählungen einen
allgemeinen unanfechtbaren Geltungsanspruch durchzusetzen. Theorien können
scheitern oder sich als falsch herausstellen, Verschwörungserzählungen nicht.
Dies zeigt, dass krude Verschwörungen ein autoritäreres Verständnis beinhalten.
Die Rahmenbedingungen für eine gute Wissenschaftskommunikation sollten gestärkt
werden, denn das beste Mittel gegen Verschwörungserzählungen und Fake News ist
eine gute Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Diese Stärkung kann z.B.
im Rahmen der sog. Third Mission der Hochschulen oder der Vermittlung von
Wissenschaftskommunikation innerhalb von Studiengängen erfolgen. Es braucht hier
eine landesweite Strategie und konkrete Anreize für Wissenschaftler*innen, die
zusammen mit den Hochschulen erarbeitet werden sollten.
Politische Bildung stärken!
Bündnis 90/Die Grünen Schleswig-Holstein bekräftigen die Forderungen des
Beschlusses „Politische Bildung in Schleswig-Holstein stärken“ des
Landesparteitages aus dem November 2019. Um langfristig etwas gegen Fake News
und Verschwörungserzählungen zu machen, ist politische Bildung unersetzlich.
Politische Bildung ist essentiell, um kritisches Denken hinsichtlich politischer
und wissenschaftlicher Sachverhalte anzuregen und Menschen Werkzeuge an die Hand
zu geben, die ihnen ermöglichen das komplizierte Dickicht unserer Welt zu
lichten.
Demokratiebildung stellt eine wichtige Säule der Wertebildung an Schulen dar.
Wir wollen, dass Demokratiebildung fächerübergreifend weiter gestärkt wird und
dadurch einen höheren Stellenwert bekommt. Das Erlernen von kritischem Denken
muss an Schulen und anderen Bildungsorten ein wichtiger Baustein von Bildung
sein. Es darf jedoch nicht nur in der Schule angesetzt werden, sondern es müssen
für alle Altersgruppen Angebote geschaffen werden, um politische Bildung
generationenübergreifend zu fördern. Insbesondere Stiftungen und Verbände, die
sich mit Verschwörungserzählungen, Rechtsextremismus und -populismus
auseinandersetzen, müssen in ihrer Arbeit unterstützt werden, ohne dass ihre
Unabhängigkeit gefährdet wird. Wir brauchen endlich ein Demokratiefördergesetz.
Soziale Netzwerke nicht sich selbst überlassen
Verschwörungserzählungen sind eine ernstzunehmende Gefahr für unsere Demokratie.
Durch Soziale Medien, Webseiten, geschlossene Gruppen und Infokanäle bei
Messengerdiensten werden Verschwörungserzählungen rasant verbreitet. Dabei kommt
Betreiber*innen von Sozialen Medien und Messengerdiensten eine besondere
Verantwortung zu, wenn öffentliche Gruppen Hass und Hetze verbreiten. Die
Betreiber solcher Netzwerke müssen dafür sorgen, dass ihre Dienstleistungen
nicht öffentlich dazu missbraucht werden, um demokratische Prozesse gezielt zu
manipulieren, Menschen zu bedrohen und öffentlich Unwahrheiten und
Verschwörungserzählungen zu verbreiten. Mit Desinformationskampagnen können
Wahlen beeinflusst und unser demokratisches Zusammenleben nachhaltig gestört
werden. Insbesondere Verschwörungserzählungen bergen die Gefahr, dass das
Vertrauen in demokratische Institutionen und die Wissenschaft nachhaltig
wegbricht. Dem müssen wir uns als Rechtsstaat entschlossen entgegenstellen.
Die Bundesregierung und unsere Sicherheitsbehörden müssen diese Gefahren ernst
nehmen.
Der Landesvorstand wird beauftragt, entsprechend lautende Anträge auf der BDK
als Landesverband Schleswig-Holstein zu unterstützen bzw. Mitantragsteller zu
werden.
Begriffserklärungen:
evidenzbasiert: auf der Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen
Parawissenschaft: Erkenntnisse, die nicht wissenschaftlichen Merkmalen genügen.
ÖRR: Öffentlich-Rechtlicher-Rundfunk
Begründung
- erfolgt mündlich
Kommentare
Michael Winsel:
Manfred Sallach: