Antragsteller*in: | LAG Gesundheit (dort beschlossen am: 20.08.2020) |
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G 3: Krankheit und Tod durch multiresistente Erreger bekämpfen!
Antragstext
Krankheit und Tod durch multiresistente Erreger bekämpfen!
Bündnis 90/ Die Grünen Schleswig-Holstein setzen sich für die Eindämmung von
Erkrankungen durch multiresistente Keime ein.
Jedes Jahr gibt es in Deutschland etwa 400.000 Infektionen in Krankenhäusern
oder Pflegeheimen - ca. 15.000 bis 20.000 der Infizierten sterben. Die Ursachen
sind vor allem mangelnde Hygiene und resistente Keime. Dies sind Bakterien, bei
denen Antibiotika kaum oder gar nicht mehr wirken. Besonders gefährdet sind
hierbei Personen, deren Immunabwehr eingeschränkt ist. Dies betrifft Kleinkinder
ebenso wie ältere Menschen und Personen mit Vorerkrankungen 2. 2/3 dieser
Infektionen stehen im Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung 1.
Warum sind diese Infektionen und das damit verbundene Leid so wenig publik, wo
doch die ganze Welt über eine Infektionskrankheit spricht?
Infektionen mit multiresistenten Erregern sind vermeidbar und damit auch das
Leid der Patient*innen. Wir fordern eine konsequente Strategie zur Eindämmung
von Infektionen durch multiresistente Erreger! Da multiresistente Erreger durch
die wiederholte Gabe von Antibiotika entstehen (Selektionsdruck), ist die
wirksamste Strategie Antibiotika, dort wo sie nicht notwendig sind, zu
vermeiden.
Wir fordern den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung deutlich zu
reduzieren.
- Hierzu fordern wir:
- Die Durchsetzung des Verbots der Gabe von Reserve-Antibiotika in der
Tiermast mit systematischen Kontrollen der Mastbetriebe.
- Die Durchsetzung der Richtlinien für eine artgerechte Tiermast mit
systematischen Kontrollen der Betriebe.
- Das Platzangebot für Tiere nach schwedischem Vorbild deutlich erhöhen.
- Ein Moratorium: keine weiteren Ställe für konventionelle Tiermast sofern
Infektionszahlen nicht um 50% gesunken sind (basierend auf Zahlen von
2018).
- Förderung der Biomastbetriebe
- Kennzeichnungspflicht für Fleischprodukte „bei der Aufzucht der Tiere
wurden Antibiotika eingesetzt”
Auch in der Humanmedizin muss der überflüssige Antibiotikaeinsatz drastisch
reduziert werden.
Hierzu fordern wir:
- Eine strengere Indikationsprüfung des Antibiotikaeinsatzes in der
ambulanten und stationären Patient*innenversorgung.
- Patient*innen besser über die häufig virale Ursache der Infektion
aufzuklären. Dieses Aufklärungsgespräch muss besser vergütet werden.
- Die Diagnosesicherheit der ambulant-tätigen Ärztinnen und Ärzte zu
erhöhen. So könnten point of care Testungen von Entzündungsparametern
eingesetzt werden, um eine Übertherapie mit Antibiotika zu vermeiden und
trotzdem im Falle einer bakteriellen Infektion den Therapiebeginn nicht zu
verzögern.
- Flächendeckende Antibiotic stewardships um die Antibiotikagabe auf das
richtige Mittel, die geeignete Dauer und exakte Dosierung zu reduzieren.
- Epidemiologie und Public Health in der Aus- und Weiterbildung der
Gesundheitsberufe adäquat zu berücksichtigen – insbesondere auch in der
Facharztweiterbildung der Allgemeinmediziner:innen.
- Eine jährliche Testung auf multiresistente Erreger von Personal in
Gesundheitsberufen.
- Finanzielle Unterstützung im Bereich der Antibiotikaforschung.
- Stärkung der Gesundheitsämter, damit Gesetze und Maßnahmen auch
durchgesetzt werden können.
- Aufforderung ans Gesundheitsministerium, eine effektive Strategie zur
weiteren Reduzierung von Infektionen mit multiresistenten Keimen zu
erarbeiten.
Begründung
Eigentlich sind Antibiotika ein Segen für die Menschheit: sie bekämpfen bakterielle Infektionskrankheiten wie Lungen- oder Hirnhautentzündung. Fehler beim Umgang damit oder das überflüssige Verschreiben von Antibiotika, führen dazu, dass immer mehr Keime resistent werden, Antibiotika ihnen also nichts mehr anhaben können.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht Antibiotikaresistenzen als ernsthafte Bedrohung an. Diese seien eine „der dringlichsten Gesundheitsrisiken unserer Zeit und stellen eine Bedrohung für den medizinischen Fortschritt eines ganzen Jahrhunderts dar", erklärte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus 3.
Besonders in der konventionellen Landwirtschaft haben auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür gesorgt, dass sehr viele Tiere auf sehr wenig Raum gehalten werden. Das sind Bedingungen unter denen resistente Keime geradezu herangezüchtet werden: bakterielle Infektionen können sich schnell ausbreiten und Antibiotika werden oft in großen Mengen eingesetzt. Nicht selten sogar vorbeugend – entgegen der Gesetzgebung. Entsteht durch zufällige Veränderungen im Erbgut der Bakterien eine Resistenz, so können sich diese Bakterien in einem konventionellen Stall schnell ausbreiten. Der nächste Schritt ist dann wieder die Ausbreitung in andere Ställe sowie die Verschleppung in Krankenhäuser. Die Auswirkungen des Einsatzes von Antibiotika bei Tieren auf die konventionelle Massentierhaltung ist inzwischen eine wesentliche Quelle für sog. Krankenhauskeime geworden. So erläutert das Robert-Koch-Institut: „Es ist unstrittig, dass bestimmte resistente Bakterien aus dem Bereich der Landwirtschaft auf den Menschen übertragen werden können“ 2.
Die Übertragung von Antibiotika-resistenten Keimen vom Tier auf den Menschen trägt somit zur aktuellen Problematik bei 4,5. Generell sollten Antibiotika, wie bereits 2010 in den Leitlinien der Bundestierärztekammer festgelegt, bei Tieren nur therapeutisch eingesetzt werden und – abgesehen von wenigen gerechtfertigten Ausnahmen – nicht zur Prophylaxe. Tatsächlich sind die Antibiotikamengen in der Nutztierhaltung in den letzten Jahren gesunken. Das gilt aber nicht für Masthühner 6. Beim Federvieh kommen viele Reserveantibiotika zum Einsatz. Und je größer der Bestand, das hat eine Evaluierung des Jahres 2019 gezeigt, desto höher der Antibiotikaeinsatz.
Auch in gerade in der Humanmedizin besteht ein Missverhältnis zwischen notwendigen und tatsächlichem Antibiotikaeinsatz. Da 85% des Antibiotika-Verordnungsvolumen im ambulanten Bereich anfallen (500-600 Tonnen) 7, sollte insbesondere hier auf eine strengere Indikationsprüfung geachtet werden. Nach dem GERMAP 2015 Bericht sollten die hohen ambulanten Verordnungsanteile von Reserveantibiotika Anlass geben, das Verordnungsverhalten zu überdenken.
Unserer Meinung nach liegen den hohen Verordnungszahlen von Antibiotika mehrere Ursachen zugrunde. Weiterhin besteht eine Forderungshaltung der Patient:innen, die ein Antibiotikum wünschen. Zudem ist der Griff zum Rezeptblock häufig schneller und günstiger, als ein aufwendiges Aufklärungsgespräch, selbst wenn den Ärztinnen und Ärzten klar ist, dass das verschriebene Antibiotikum nicht helfen wird (z.B. weil ein viraler Infekt vorliegt). Hier muss die sprechende Medizin besser vergütet werden! Darüber hinaus besteht in der Praxis häufig eine Unsicherheit der Genese einer Erkrankung (viral oder bakteriell). Um den Therapiebeginn im Zweifel nicht zu verzögern, können in der ambulanten Medizin aus logistischen Gründen Laborwerte häufig nicht abgewartet werden. So wird „prophylaktisch“ ein Antibiotikum verschrieben, „falls es doch was Bakterielles ist“. Hier könnte z.B. eine Point-of-care-Testung von Entzündungsparametern (z.B. CRP) Abhilfe schaffen. Durch die Nutzung einer point-of-care Testung kann der Antibiotikaverbrauch signifikant reduziert werden 8.
Nicht zuletzt ist die Unterstützung der Antibiotikaforschung unabdingbar, da sich absehbar immer weitere Resistenzen gegen die derzeitigen Reserveantibiotika entwickeln. Auch wenn eine weitere Ausbreitung von MRSA verhindert werden konnte, so gibt es aktuell steigende Infektionszahlen bei gramnegativen Stäbchenbakterien 2.
Quellen:
3: Krüger M, Shehata AA, Schrödl W, Rodloff A. Glyphosate suppresses the antagonistic effect of Enterococcus spp. on Clostridium botulinum. Anaerobe. 2013;20:74–78.
4: Shehata AA, Schrödl W, Aldin AA, Hafez HM, Krüger M. The effect of glyphosate on potential pathogens and beneficial members of poultry microbiota in vitro. Curr Microbiol. 2013;66(4):350–358.
5: Antibiotika-Forschung: Probleme und Perspektiven. Stellungnahme Akademie der Wissenschaften in Hamburg (ISBN 978-3-11-030667-5)
6: 2. DIE ZEIT, Resistente Keime im Hühnerstall 14.01.2020
7: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V. GERMAP 2015 – Bericht über den Antibiotikaverbrauch und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Human- und Veterinärmedizin in Deutschland. Antiinfectives Intelligence, Rheinbach, 2016.
Unterstützer*innen
- Jasper Balke (KV Lübeck)
- Dennis Heine
- Gaby Braune
- Kerstin Mock-Hofeditz (KV Nordfriesland)
- Gerd Weichelt (KV Dithmarschen)
- Sebastian Bonau (KV Schleswig-Flensburg)
- Franziska Eggers (KV Herzogtum Lauenburg)
- Klaus-Christian Kalkhoff (KV Rendsburg-Eckernförde)
- Pamela Masou (KV Pinneberg)
- Bianka Ewald (KV Pinneberg)
- Achim Jansen (KV Segeberg) (KV Segeberg)
- Regine Planer-Regis (KV Herzogtum Lauenburg)
- Kornelia Mrowitzky (KV Herzogtum Lauenburg)
- Jakob Blasel (KV Rendsburg-Eckernförde)
- Matthias Albig (KV Kiel)
- Lasse Bombien (KV Rendsburg-Eckernförde)
- Henning Vollert (KV Segeberg)
- Hasso Seibert (KV Rendsburg-Eckernförde)
- Marvin Wölk (KV Steinburg)
- Mandy Siegenbrink (KV Lübeck)
- Peter Schüler
- Ruth Kastner (KV Stormarn)
- Ulrike Müller-Kopsch (KV Stormarn)
- Manfred Sallach (KV Steinburg)
- Katja Kuncke (KV Lübeck)
- Arne Langniß (KV Kiel)
- Johann Brunkhorst RD
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