Antragsteller*in: | Kreisvorstand Kiel (dort beschlossen am: 01.10.2020) |
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A 2: Gegen das Sexkaufverbot
Antragstext
Gegen das Sexkaufverbot
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schleswig-Holstein setzen sich gegen ein Sexkaufverbot
ein. Wir achten einvernehmliche sexuelle Dienstleistungen und erkennen sie als
Arbeit an.
Ziel unserer Politik in diesem Bereich ist es, das Stigma, welchem die Sexarbeit
nach wie vor unterliegt, auszuräumen. Dazu unterstützen wir gesellschaftliche
Aufklärungskampagnen über Sexarbeit und fördern sie landesseitig. Ein weiteres
Ziel ist, die unbeleuchteten Räume der Sexarbeit zu erhellen, indem wir
Sozialarbeit innerhalb der Szene deutlich ausbauen. Dies ist äußerst relevant,
wenn wir ausschließen wollen, dass Menschen zur Sexarbeit gezwungen werden. Für
diese Menschen benötigt es deutlich mehr aufsuchende Beratung, Unterstützung und
personell gut besetzte Anlaufstellen.
Zudem lehnen wir das 2017 in Kraft getretene Prostituiertenschutzgesetz ab und
fordern eine Reform, die gegen das Stigma der Sexarbeit vorgeht, anstatt
Sexarbeiter*innen diesem Stigma zusätzlich auszusetzen, wie es der sogenannte
“Hurenausweis” des ProstSchG vorsieht. Wir benötigen eine Gesetzesnovelle,
welche schützt, anstatt zu stigmatisieren.
Begründung
Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) hat die gewünschten Ziele nicht erreicht. Das lässt sich 3 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes eindeutig bilanzieren. Statt Sexarbeiter*innen zu schützen, werden viele in die Illegalität gedrängt. Die durch das ProstSchG vorgeschriebene Anmeldung als Prostituierte wird von vielen nicht durchgeführt aus Angst vor den Konsequenzen durch das Hurenstigma. Ohne den bei der Anmeldung erhaltenen “Hurenausweis” ist es nicht mehr möglich in Bordellen und anderen Prostitutionsstätten zu arbeiten. Für die Unangemeldeten fallen diese sicheren und geldbringenden Arbeitsplätze weg. Der Ausweg sind Haus & Hotelbesuche, welche durchaus Risiken bergen. Die Vereinzelung der Sexarbeitenden führt dazu, dass es kaum noch Austausch, Unterstützung und Fortbildungen unter den Kolleg*innen gibt. Auch Beratungsstellen und aufsuchende Gesundheitsämter erreichen diese “Illegalen” nur noch sehr schwer. Der Bundesregierung ist bewusst, dass sie kaum Einblicke in die Branche hat. Statt allerdings wissenschaftliche, beratende und vor allem sozialarbeiterische Tätigkeiten in diesem Bereich zu unterstützen und mehr Rechte für Sexarbeitende zu schaffen, wurden neue Pflichten eingeführt. Eines der Ziele des ProstG war, mehr Normalität in die Tätigkeit der Sexarbeitenden zu bringen und das Stigma abzubauen. Mit dem ProstSchG wurde dieses Ziel untergraben und sogar noch gesteigert durch die Einführung des “Hurenausweises”.
Ein weiteres konservatives Rollback im Prostitutionsgewerbe kann kaum in Sinne unserer feministischen Partei sein. Allerdings gibt es innerhalb der Bundestagsfraktionen von Union und vor allem der SPD gerade den Wunsch danach, den Wunsch nach einem kompletten Verbot von Sexarbeit, dem sogenannten Sexkaufverbot. Das Sexkaufverbot wird von konservativer Seite als der Schlüssel zu einem gerechten Umgang bei gleichzeitigem Verbot angesehen, denn es sollen vor allem die Freier*innen bei Inanspruchnahme der Dienstleistung zur Rechenschaft gezogen werden, während die Sexarbeitenden selber weiterhin legal ihre Dienste anbieten dürfen. Das Konzept wird “schwedisches Modell” genannt, nachdem es 1999 in Schweden in Kraft getreten war. Allerdings gibt es bis heute keine annähernd ausreichende Datenlage für eine Evaluation des Gesetzes. Natürlich gibt es auch dort noch Prostitution, die allerdings verdeckt und vollkommen unkontrolliert stattfindet. Alleine schon, dass kaum Datenlage seitens der Regierung Schwedens dazu vorliegt, macht skeptisch. Es ist davon auszugehen, dass das “Problem” vor allem in die Unsichtbarkeit abgeschoben werden sollte. Zudem vernachlässigt die Regelung die große Zahl männlicher oder diverser Prostituierter, denn es wird im Zusammenhang mit dem “schwedischen Modell” ausschließlich von weiblichen Sexarbeitenden gesprochen, die grundsätzlich als Opfer gesehen werden.
Eine Untersuchung der Universität Oslo bescheinigt dem “schwedischen Modell” allerdings, dass die Kriminalisierung von Kund*innen das Stigma in Schweden verschärft und die Gewalt im Rahmen der Prositutionstätigkeit zugenommen habe. Auch gibt es zwar weniger Kund*innen für sexuelle Dienstleistungen, dies erhöht aber vor allem den finanziellen Druck auf Prostituierte, ungewollten Praktiken oder fehlenden Hygienemaßnahmen (wie Sex ohne Kondom) zuzustimmen. Auch die Möglichkeit Kund*innen nicht zu bedienen oder überhaupt im Vorhinein sich über Kund*innen auszutauschen hat deutlich abgenommen, da diese anonym auftreten und die Sexarbeitenden vereinzelt arbeiten. Bordelle oder das gemeinsame Anmieten einer Arbeitswohnung sind verboten. Dies sind nur einige der Konsequenzen des schwedischen Modells. Von ihnen sind besonders bereits vulnerable Personengruppen oder marginalisierte Sexarbeiter*innen betroffen. Ganz besonders gilt das für solche, die keine Alternative zur Sexarbeit haben, weil sie in dysfunktionalen Beziehungen oder Abhänigkeitsverhältnissen leben oder aus wirtschaftlicher Not handeln. Genau der Personenkreis, der von einer solchen Regulierung geschützt werden soll, ist also zunehmend negativen Effekten ausgesetzt. Sexarbeiter*innen, die die Sexarbeit primär als Arbeit, der sie gerne nachgehen wollen, verstehen, bekommen zusätzlich ihre Lebensgrundlage entzogen. Ein Sexkaufverbot ist in seinen realen Konsequenzen zutiefst kontraproduktiv.
Die Position, dass kein Mensch sich jemals freiwillig prostituieren würde, widerlegt sich tagtäglich durch die Sexarbeiter*innen, die im öffentlichen Raum, anonym wie personalisiert ihre Erfahrungen aus der Branche verbreiten. Diese Menschen sollten nicht entmündigt werden. Stattdessen ist der Schlüssel zu einer Legalisierung bei gleichzeitig wirksamen Regulierungen eine ausreichende Datenlage. Dies bedarf einer deutlichen Stärkung der sozialarbeiterischen Tätigkeiten in diesem Bereich. Alleine in Kiel leben Tausende von der Sexarbeit. Beratung in diesem hochsensiblen Bereich wird allerdings nur von 2 Personen auf halben Stellen angeboten, die nicht nur für Kiel, sondern für große Teile des Bundeslandes zuständig sind. Schon intern gibt es kaum belastbare Informationen über die Branche. Extern herrscht ein extremes Stigma. Sexarbeiter*innen müssen im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis Verurteilungen rein aufgrund ihrer Berufswahl fürchten. Durch das gesellschaftliche Stigma sind Sexarbeiter*innen natürlich deutlich weniger bereit über negative wie positive Erfahrungen, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit gemacht haben, offen zu sprechen. Deswegen benötigt es auch öffentliche Aufklärungskampagnen, die das Stigma der Sexarbeit angehen. Auch ist es nicht zielführend, in der Kommunalpolitik Straßenstrichs und Szenen an den Rand der Stadt zu verdrängen und die Sichtbarkeit des Phänomens abzubauen. Eine offensive sozialpädagogischer Umgangsweise damit wäre deutlich produktiver.
Unterstützer*innen
- Laura Catharina Mews
- Nelly Waldeck (KV Kiel)
- Jasper Balke (KV Lübeck)
- Mayra Vriesema (KV Nordfriesland)
- Uta Boßmann (KV Kiel)
- Nils Bollenbach (KV Stormarn)
- Nils Kurtoglu (KV Lübeck)
- Finn Petersen (KV Schleswig-Flensburg)
- Nele Johannsen (KV Ostholstein)
- Lasse Petersdotter
- Aminata Touré (KV Neumünster)
- Lennart Stahl (KV Segeberg)
- Sven Gebhardt (KV Flensburg)
- Malte Richert (KV Segeberg)
- Matthias Albig (KV Kiel)
- Sophia Marie Pott (KV Lübeck)
- Julia Schmidtke
- Lasse Bombien (KV Rendsburg-Eckernförde)
- Sven Krumbeck (KV Kiel)
- Andrea Eva Dreffein-Hahn (KV Pinneberg)
- Georg Wilkens (KV Rendsburg-Eckernförde)
- Leonie Beers (KV Pinneberg)
- Robert Wlodarczyk
- David-Willem Poggemann (KV Kiel)
- Daniel Stephen Kolmorgen (KV Kiel)
- Bruno Hönel
- Arne Langniß (KV Kiel)
- Käthe Zunzer (KV Kiel)
- Hans-Peter Hopp (KV Ostholstein)
Kommentare
Antje Galuschka:
Von den geschätzt 400.000 Prostituierten in D sind rund 38.000 offiziell angemeldet. Also schon jetzt sind nur wenige im Sinne des Gesetzes tätig.
Dass sowohl das ProstG von 2002 sowie das ProstSchG von 2017 gescheitert sind, die Arbeitsbedinungen und den Schutz von Prostituierten zu verbessern, ist unbestritten. Aber wie kann das geändert werden? Mehr Legalität geht nicht mehr!
Euer Anliegen, mehr Sozialarbeiter:innen vor Ort einzusetzen, begrüße ich ausdrücklich! Denn die meisten Prostituierten haben keinen Kontakt zur „Außenwelt“, denn sie können meist kein Deutsch (95 % kommen aus dem Ausland, die meisten aus osteuropäischen Ländern), sie leben im Bordell (obwohl das eigentlich nicht erlaubt ist bzw. der Gesetzgeber dort eine Lücke gelassen hat, indem er sagt, dass sie nicht in dem Zimmer wohnen dürfen, in dem sie Freier bedienen), sie wissen häufig nicht, in welcher Stadt sie sich befinden, und sie werden von ihren Zuhältern bedroht, damit sie sich keine Hilfe suchen.
Ich habe im September an der Bündnistagung Nordisches Modell teilgenommen und möchte Euch auf folgende Initiativen und Vereine hinweisen, die ein anderes Bild von Prostitution zeichnen als die Prostitutionsbefürworter: Sisters e.V., SOLWODI e.V., Netzwerk Ella. Auf der Seite dieunsichtbarenmänner.de findet Ihr Statistiken, aber auch Zitate von Freiern (Triggerwarnung!) - diese Zitate zeigen deutlich, wer Prostituierte stigmatisiert.
Antje Galuschka:
Käthe Zunzer (KV Kiel):
Im Übrigen gehört Sexarbeit und Zwangsprostitution nicht vermengt. Wenn der Gesetzgeber versagt und es immer noch - nicht wenige - Betroffene von Zwangsprostitution und Menschenhandel gibt, muss der Gesetzgeber nachbessern, nicht aber dürfen Arbeitnehmende kriminalisiert werden.
Der Ausbeutung gehört natürlich auch entgegengetreten, selbstverständlich. Doch liegt der Ursprung von beruflichen Zwängen und Ausbeutung doch vielmehr im Ursprung eines kapitalistischen Systems.
Antje Galuschka:
Aber Du hast Recht: Es fehlen verlässliche Daten! Und die Erfassung dieser Daten sollte an erster Stelle stehen, damit man ein Problem erkennen und beheben kann. Auch die Berufsverbände der Sexarbeiter:innen haben keine Zahlen. Sie fischen im Trüben und verbreiten genau das Bild, das ihnen nutzt.
Ich finde es sehr schade, was Du Sisters vorwirfst. Sisters kümmern sich vor Ort um Prostituierte, da ist die Intersektionalität schon eingeschlossen, denn sie machen keine Unterschiede. Sisters bieten echte Ausstiegshilfen und nicht nur die Vermittlung in einen anderen Club.
Du erwartest neutrale Informationen von einem Berufsverband, dessen Mitglieder nicht selten selbst finanziell davon profitieren, dass sie Frauen vermitteln?
Ja, die Gesetze schützen Prostituierte nicht, sondern begünstigen Bordellbetreibende, Zuhälter:innen, Freier (!) und andere indirekt beteiligte Professionen. Und wie ich oben schrieb, haben die ermittelnden Behörden enorme Schwierigkeiten, Zwangsprostitution nachzuweisen, weil Sexkauf, Zuhälterei und der Betrieb eines Bordells legal sind, und die Auflagen sehr niedrigschwellig sind. Solange die Profiteure sich an die Regeln halten und es nicht übertreiben, kann ihnen eigentlich nichts passieren.
Auch wenn wir das kapitalistische System nicht so schnell werden ändern können, müssen wir den betroffenen Menschen dennoch helfen.
Antje Galuschka:
Rebecca Such:
ich möchte hier auf einige Aussagen von dir eingehen:
1) Die von dir genannten 400.000 Sexarbeiter*innen in Deutschland ist eine umstrittene bzw. widerlegte Zahl: „Die Anzahl der in Deutschland tätigen Prostituierten wird weit überschätzt. Häufig zitiert wird auch heute noch eine Zahl von etwa 400.000 Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern mit einer Million Kundenkontakten pro Tag. Diese ‚Schätzung‘, entstanden in der Aktivistinnenszene im Rahmen der politischen Diskussion um die gesellschaftliche Anerkennung und Gleichstellung von Prostituierten Ende der 1980er Jahre, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage. Seriöse Hochrechnungen von Prostituierten in Deutschland bewegten sich damals in einer Spannbreite von 64.000 bis zu 200.000 Prostituierten.“ (Barbara Kavemann und Elfriede Steffan 2013: Zehn Jahre Prostitutionsgesetz und die Kontroverse um die Auswirkungen. Politik und Zeitgeschichte 9.)
2) Es sind nicht wie von dir behauptet 38.000 Sexarbeiter*innen angemeldet. Laut dem Statistischen Bundesamt waren es 2018 32.799 Menschen. (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Soziales/Prostituiertenschutz/Tabellen/prostitutionstaetigkeit2018.html)
3) Die von dir genannten 90 % lassen sich nicht halten: „Sie stammen überwiegend aus dem Ausland (63 %), und zwar durch die EU-Ost-Erweiterung primär aus dem europäischen Ausland“ (Nicola Döring (2014): Prostitution in Deutschland: Eckdaten und Veränderungen durch das Internet. Zeitschrift für Sexualforschung 27 (2). S. 102)
4) Die sogenannte Zwangsprostitution ist natürlich ein Problem, dem die gebührende Aufmerksamkeit gehört. Wie Käthe allerdings bereits angesprochen hat ist es wichtig, die beiden Themen nicht zu vermischen. Aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich außerdem nicht halten, dass Zwangsprostitution in der Sexarbeit ein großes Problem wäre: „Doch auch wenn man eine Dunkelziffer einbezieht, bleibt Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ein Straftatbestand, der angesichts von geschätzt 64.000 bis 200.000 Prostituierten in Deutschland nicht den Normalfall, sondern einen seltenen Sonderfall darstellt, wobei Menschenhandelsopfer in der Straßen-, Bordell- und Besuchsprostitution anzutreffen sind. […] Auch migrierende Sexarbeiter_innen in Deutschland sind in der großen Mehrheit keine Menschenhandelsopfer, sondern haben sich in Anbetracht ihrer Möglichkeiten aus ökonomischen Gründen dafür entscheiden, in Deutschland mit Prostitution Geld zu verdienen.“ (Nicola Döring (2014): Prostitution in Deutschland: Eckdaten und Veränderungen durch das Internet. Zeitschrift für Sexualforschung 27 (2). S. 108: https://www.bpb.de/apuz/155364/zehn-jahre-prostitutionsgesetz-und-die-kontroverse-um-die-auswirkungen?p=all)
5) Zu deiner Behauptung, die Behörden würde die Strafverfolgung durch die Legalität erschwert werden, hier ein Zitat: „Die strafrechtlichen Änderungen des Prostitutionsgesetzes scheinen auf die Arbeit der anhand des Bogens befragten Beamten und Beamtinnen nur wenig Auswirkungen zu haben. […] Eine Auswirkung auf die Strafverfolgung wegen Menschenhandels spielte [aus Sicht der Polizei] [...] keine Rolle.“ (Cornelia Helfferich et al. 2005: Untersuchung „Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes“ Abschlussbericht. Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. S. 108)
Die Datenlage zum Thema ist tatsächlich schwer, aber „im Trüben fischen“, wie du behauptest, tun wir in Deutschland auch nicht.
Antje Galuschka:
Antje Galuschka:
Antje Galuschka:
Stattdessen möchte ich auf die Pressekonferenz des Bündnisses Nordisches Modell in den Nordischen Botschaften hinweisen.
https://youtu.be/K74jN86SmUo